Slutshaming

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6/13/20225 min read

Die Schlampe, zu der ich wurde

Wurde ich zur Bitch gemacht oder machte ich mich dazu? Berechtigt oder unberechtigt? Fragen, die oft im Raum stehen, wenn es darum geht warum man denn als Schlampe, Bitch, Hure oder ähnliches bezeichnet wird. Dabei sollte das völlig irrelevant sein. Fakt ist, man verletzt und beleidigt damit bewusst Menschen bzw. primär Frauen.

Ich habe Erfahrungen in beiderlei Hinsicht gemacht. Meine Karriere als „die Schlampe“ begann mit der Trennung von meinem Ex-Freund, woraufhin ich (da es von meiner Seite aus geschah) die böse, dumme Bitch wurde und der damalige ‚Freundeskreis‘ sich abwendete. Als ich Monate später dann nach einer Party mit jemandem unverfänglich schlief, war das Bestätigung genug und der Stempel auf meiner Stirn war besiegelt. Es war völlig irrelevant, dass mein Ex-Freund zu diesem Zeitpunkt schon wieder viel aktiver in der Hinsicht war oder wie ich mich ansonsten verhielt – diese eine Geschichte war gefundenes Fressen, auf das sich begeistert gestürzt wurde.

Als über eine gewisse Zeit mehr intime Erfahrungen hinzu kamen, wurde ich von allen Seiten damit konfrontiert. Selbst von meinen engsten Freunden erfuhr ich eine gewisse Abwertung. Dies alles war sehr verletzend: man war allein, konnte mit niemandem offen über Dinge sprechen und ständig die Frage, die einfach nicht aus meinem Kopf ging: Was mache ich denn so schlimmes, dass jeder glaubt mich ungefragt beurteilen und abwerten zu dürfen?? (Auf diese Frage finde ich bis heute keine Antwort). Die Phase meines Lebens war verwirrend, verloren und mental sehr belastend in vielerlei Hinsicht. Es war ein versuchtes Versteckspiel, getrieben von Scham und Angst durch äußere Erwartungen. Man ist beeinflusst von dem Denken, der dich umgebenden Personen. Ohne Rückhalt meines engeren Umfeldes stellte ich mich selbst in Frage. „Was stimmt nur nicht mit mir? Ich bin so dumm, das zu machen.“ Zudem war da der riesen Druck. Gefühlt die ganze Welt hatte sich auf dieses Bild von dir geeinigt und das war das einzige, was noch von dir gesehen wurde. In ländlichen Regionen kann das besonders erdrückend sein, denn man hängt an seinem Ruf und man hat Angst: ist dieser erstmal in den Schmutz gezogen, findet sich in einem kilometerweiten Radius kaum noch wer, der unvoreingenommen auf dich zugeht. Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer und du und dein eigentlich privates Sexualleben sind nur noch zur Unterhaltung und Belustigung anderer da. In diesem Zuge verlieren Menschen jeglichen Respekt vor dir – du wirst zum „Freiwild“ und dein gesamtes Handeln steht unter Beobachtung: Geschichten werden hinzugedichtet (es ist eh schon egal), ein Arschgrabscher ist halb so wild (sie steht da doch drauf und will das) und wehe man lässt sich auf einer Party einfach mal fallen und tanzt zu anzüglich (weil nur deshalb tanzen diese Schlampen schließlich, um sich der Männerwelt zu präsentieren und ihren nächsten Fang zu landen – das einzige, mit dem sich ihre Gedanken beschäftigen). Man ertrinkt in diesem Meer voller Stimmen, gegen die du nicht mehr anschwimmen kannst. Bis man einfach verstummt. Sich zurückzieht. Sich selbst dafür fertig macht. Sich verliert. In jungen Jahren fühlt es sich so an, als wäre das Ende schon vor dem Anfang geschrieben.

Man hätte seinen Werdegang jetzt schon verspielt und man kann dem allem nicht mehr entfliehen. Dabei versucht man doch schon alles, um den Menschen um dich herum zu gefallen. Auf der anderen Seite hatte ich nach wie vor Bedürfnisse nach Zärtlichkeiten, menschlicher Nähe, Entdeckenslust und sexuellem Verlangen, auch wenn ich Single war – oder gerade deswegen. Weshalb sich jeder intime Kontakt irgendwo gut anfühlte, gleichzeitig aber von dem bedrohenden Gedanken überströmt wurde, was dann wohl morgen wieder geredet werde. Negativität und Ekel machen sich in dir breit, der Genuss versiebt und man entwickelt eine zwiegespaltene Verbildung zu sich selbst. „Ich mache mich gerade wieder zur Schlampe, ich bin selbst Schuld, dass mich niemand will!“ In meiner anschließenden festen Beziehung war das leider auch Thema. Selbst wenn man nie einen Anlass für Misstrauen gibt, durch z.B. Flirten, Tanzen, gar Fremdgehen oder Sonstiges, nehmen doch viele unterbewusst an, bei Frauen, die ‚viele‘ Geschlechtspartner*innen hatten oder denen es nachgesagt wird, bestünde ein größeres Fremdgeh-Risiko, da Frau bei solch einem entfesselten, überdurchschnittlich aktiven, sexuellen Verlangen nicht immer volle Kontrolle haben könne und Sex im generellen keine große Bedeutung mehr habe (Achtung: ironischer Unterton). Und irgendwo hängen traurigerweise auch immer noch Reste des Besitzdenkens. Seine damalige Aussage „für mich wäre es das Schlimmste, wenn ein Arbeitskollege auf mich zu käme und mir sagt, er hätte schon einmal was mit dir gehabt“, klingt für mich nach „ich will nicht, dass XY mit meinen Spielsachen gespielt hat, das ist meins und ich kaufe nichts Gebrauchtes!“

Es ist nach wie vor als Frau mehr angesehen, in einer komplizierten, unglücklichen Beziehung zu stecken, als ein freies, zufriedenes Singleleben zu führen. Ich ließ mich damals stark von meinem Umfeld beeinflussen und übertrug die komplett falsche Annahme, je mehr Geschlechtspartner*innen man habe, desto weniger tiefgründig und bedeutend könne man Lieben. Ich zweifelte irgendwann sogar an, ob ich überhaupt liebesfähig sei. Bis mir bewusst wurde, dass das völlig konträr ist und ich, wenn ich mich verliebe, das sehr intensiv tue und jede Berührung bedeutsam für mich ist. Da Frauen als das empfindsamere Geschlecht gelten, erwarten manche Menschen dass sie sich schneller verlieben und ihre Gefühle einfacher nach außen tragen. Zudem sei die Hauptintention einer Frau sowieso die Männersuche, ohne den sie weder zurecht kämen, noch glücklich werden können. Ist das dann nicht der Fall, wird man schnell als kühl und unsensibel eingestuft, was sich dann praktischerweise gut mit dem Bild der abgestumpften, lieblosen Dauersingle-Schlampe kombinieren lässt. Was viele nicht verstehen: das Verhalten während meiner Singlezeit hat nichts mit meinem liebenden Ich in einer festen Beziehung zu tun.

Es hat lange Zeit gedauert, das so offen und reflektiert niederschreiben zu können. Doch gerade die Frage, die sich mir immer wieder stellte, was ich denn so verwerflich schlimmes mache, halfen mir wieder ein gesundes Verhältnis zu mir herzustellen. Denn der einzige Grund für mein negatives eigenes Bild, war das negative Bild anderer. Doch am Ende geht es nur darum, auf sich selbst zu hören, selbst zu entscheiden, was sich gut anfühlt und was nicht und frei in dem zu sein, was man tut! Egal ob beim Sex oder in der Liebe. Und kein Mensch hat das Recht, dich danach beurteilen zu dürfen. Das Gerede hat am Ende NICHTS mit dir zu tun! Vielmehr mit den Unsicherheiten, Ängsten, Erwartungen und Neid anderer und deren Versuche, sich selbst dadurch aufzuwerten und abzugrenzen. Der Begriff der „Schlampe“ ist für mich deshalb keine negative Beleidigung mehr, sondern definiert sich in meinen Augen als eine freie Art, sein Sexleben zu gestalten und das kann nur positiv sein. Habe bzw. hatte ich also mehr Geschlechtspartner*innen, als der Durchschnitt? – Ja. Wechseln sie öfter? – Ja.

Habe ich gerne und spontan Sex? – Ja.

Bin ich eine Schlampe?? – JA!

.Und jetzt?

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