Queer auf dem Land
Wochenthema
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Materialempfehlungen aus der Dorfraylle:
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Auf Klo - Stadt, Land, LGBTQ: Wie viel Queerness geht im Dorf?
125 Mitarbeiter der katholischen Kirche outen sich als queer
--> Rückblick Wochenthema - Ein Erfahrungsbericht von Alexander Lohmann
Mir fällt es schwer, einen Einstieg in das Thema zu finden. Es ist schwierig ein so vielschichtiges Thema in ein paar Zeilen zu verpacken. Ich möchte meine persönlichen Erfahrungen teilen und dadurch evtl. einen kleinen Teil dazu beitragen, das Thema offener zu behandeln. In der fünften Klasse begannen die Hänseleien, und ich wurde regelmäßig auf dem Schulhof als „schwul“ oder „Schwuchtel“ betitelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir noch keinerlei Gedanken über meine Sexualität gemacht und tat es auch trotz der Äußerungen nicht. Durch einen Klassenwechsel war ich zwar nicht mehr mit den „Tätern“ in einer Klasse. Die Pausen waren jedoch immer noch von Beleidigungen geprägt. Komplett geändert hat sich das während meiner Schulzeit nie. Die Beschimpfungen wurden weniger, aber abwertende Blicke waren an der Tagesordnung.
In der siebten oder achten Klasse ist mir bewusst geworden, dass ich nicht dieselben Gefühle für Frauen entwickle wie andere. Mir ist bewusst geworden, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Zunächst war ich wahnsinnig verunsichert, verängstigt und irgendwie auch wütend. Es hat knapp zwei Jahre gedauert, bis ich mir innerlich eingestanden habe, schwul zu sein. In dieser Phase habe ich mich zunächst Freunden anvertraut. Die meisten haben positiv und offen darauf reagiert. Andere haben mein Vertrauen missbraucht und so haben meine Gedanken die Runde gemacht. ich selber habe mich jedoch nie öffentlich geoutet.
Neben der Schule habe ich mich bei weiteren Freunden geoutet. Hier waren die Reaktionen durchweg positiv. jedoch waren diese Freunde deutlich älter als ich und hatten, aus heutiger Sicht, einen viel reiferen Blick als meine Klassenkameraden. Nach den zwei Jahren habe ich mich meiner Familie anvertraut. Ich habe großen Respekt vor meiner Familie, sie haben mir in dieser Zeit viel Rückhalt gegeben und mir immer wieder versichert, dass ich gut bin wie ich bin und dass meine Sexualität nichts an meinem Verhältnis zu meiner Familie ändert. Ich empfinde diesen Rückhalt, gerade für junge Menschen, die sich in dieser emotionalen Selbstfindungs-Phase befinden unheimlich wichtig. Einen Hafen, der einem Sicherheit und Geborgenheit gibt.
Als ich meine Ausbildung begonnen habe, wurde ich zu Beginn direkt von einer Klassenkameradin gefragt: „Bist du schwul?“ Hier habe ich mich einem weiteren, kleineren Kreis von Menschen anvertraut. Ich habe meine Zeit auf der Berufsschule sehr genossen. Ich wurde akzeptiert wie ich bin, und meine Sexualität hat niemanden weiter interessiert. Dabei ist aber auch zu erwähnen, dass ich in einem sozialen Beruf arbeite und (zumindest während der Ausbildung) Diversität großgeschrieben wird. Durch einen Ferienjob habe ich dann meinen Freund kennen gelernt. Soweit konnte es jedoch überhaupt kommen, da er so mutig war, mich über Social Media anzuschreiben.
Mittlerweile sind wir seit über fünf Jahren zusammen, haben eine eigene Wohnung, einen Hund und einen eigenen Stall mit drei Pferden. Ich bin im Berufsleben angekommen und habe wundervolle Freunde an meiner Seite. Ich kann heute mit 23 auf das blicken, was ich bis jetzt erreicht habe und mir stolz sagen: Ich lebe meinen Traum! Ich weiß aber auch, dass es vielen Homosexuellen nicht so ergangen ist wie mir. immer noch gilt Homosexualität als etwas nicht Normales (aber was ist denn schon „normal“?). Natürlich ist die Gesellschaft heutzutage weiter als früher. Jedoch gibt es genügend Menschen, die der Auffassung sind, man würde es sich aussuchen homosexuell zu sein, es sei eine Krankheit oder dass man diese Menschen bekehren müsse. Die Angst vor Zurückweisungen, Angriffen körperlicher oder seelischer Art lassen viele ihre Homosexualität nicht öffentlich leben.
Mir selber geht es auch so: Ich halte mit meinem Freund kein Händchen in der Öffentlichkeit, wir küssen oder umarmen uns nicht. Mittlerweile fühle ich mich so sicher, meinen Freund in Gesprächen zu erwähnen. Mein Selbstbewusstsein ist so weit gewachsen, dass ich mir sagen kann, entweder akzeptieren mich die Leute wie ich bin oder sie sollen nicht Teil meines Lebens sein. Ich bin jedoch auch in der glücklichen Lage in einer Beziehung zu sein, die sich aus dem „echten Leben“ ergeben hat.
Auf dem Dorf gibt es wenig Möglichkeiten Menschen, die ebenfalls zur LGBTQ-Community gehören kennenzulernen. Eine Person des gleichen Geschlechts auf einer Dorf-Party anzusprechen kann mächtig nach hinten losgehen, vor allem, wenn die andere Person sich dadurch persönlich angegriffen fühlt und handgreiflich wird. Mir selbst geht es ab und an auch so, dass ich auf Feiern denke: „ Bloß nicht auf dich aufmerksam machen oder schwul wirken!“ Aber was bedeutet denn schwul auszusehen? Den meisten fallen hier die gängigen Klischees ein. Aber das sind eben genau die Klischees, nicht mehr und nicht weniger.
Die Sexualität einer Person kann man nicht an der Kleidung, den Gesten oder dem Sprechverhalten ausmachen. In Städten gibt es Clubs für Homosexuelle, auf dem Dorf eher weniger. Aber auch hier stelle ich mir die Frage, warum es extra Orte für „uns“ braucht. Wäre die Gesellschaft wirklich so offen, wie immer gesagt wird, bräuchte es das nicht. Dann wäre es normal, dass gleichgeschlechtliche Paare auf eine Party gehen, Männer/Frauen andere Männer/Frauenansprechen und wenn kein Interesse besteht, es einfach so kommuniziert wird, wie bei Hetero-Flirtereien auch. Wenn ich Dorf und Stadt vergleiche fallen mir nur wenig Unterschiede ein. Die Stadt ist anonymer, das „Geschwätz“ der Nachbarn ist evtl. nicht ganz so groß und es gibt teilweise andere Lokalitäten. Ganz allgemein wünsche ich mir eine Gesellschaft, die im Herzen genauso offen ist, wie sie vorgibt zu sein. Wie oft höre ich: „Ich habe nichts gegen Schwule, aber was ich gar nicht gebrauchen kann sind diese übertrieben Tunten.“ Das „Aber“ und die nachfolgenden Wörter müssen aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Die Akzeptanz gegenüber der Vielfalt der Menschen muss weiter wachsen. Egal ob bi, lesbisch, schwul, pan, asexuell oder wie auch immer, wir sind alle eins: Menschen