Der Schwarzwälder Bote hat vor einiger Zeit über unsere Regenbogenaktion berichtet. Daraufhin gab es einen Leserbrief, der sich auf biblischer Ebene kritisch mit der Regenbogenflagge befasst hat. Auf diesen Leserbrief meldete sich jemand und hat eine weitere biblische Auslegung der Flagge und der Sexualitäten aufgezeigt. Für uns in der Gruppe war es total schön diese Entwicklung zu sehen und auch wir haben uns mit diesen Leserbriefen beschäftigt. Doch auch auf den letzten wirklich sehr tollen Leserbrief kam ein weiterer Bericht der schon vorherigen Verfasserin.
Auch ich kann diese neuen Zeilen so nicht stehen lassen und möchte darauf antworten. Nicht in der Zeitung, aber auf unserem Blog.
An einer Stelle im Text heißt es "Die Regenbogen-Fahnen vermitteln Heranwachsenden: Regenbogen-Sexualität ist modern, warum also nicht ausprobieren? Aber: Erstprägung ist Prägung. Auch bei einer Umorientierung ist sie nicht mehr völlig auszumerzen".
Als junger heranwachsender Mensch möchte ich in diesem Blogbeitrag von meiner sogenannten Erstprägung erzählen. Ich werde aber nicht auf die Prägung meiner sexuellen Orientierung eingehen, auf die die Verfasserin höchstwahrscheinlich anspielt. Sondern ich spreche von etwas anderem: Meiner eigenen Homophobie.
Ich bin mit dem Gedanken großgeworden, dass Liebe eigentlich nur zwischen einem Mann und einer Frau passiert. Von homosexuellen Paaren habe ich erst im Schulalter erfahren. Nur in dieser Konstellation dürfen Familien entstehen und Kinder großgezogen werden. Das andere ist teilweise in Ordnung, aber es sollte weder im Fernsehen noch auf der Straße gezeigt werden, wie homosexuelle Paare sich küssen. Es ist also schon okay, wenn sie sich hinter geschlossenen Türen küssen und berühren, aber nicht vor der Türe. Vor allem nicht vor Kindern. Diese sollten weiterhin in der Heteronormativen Prägung großwerden.
Mit dieser Einstellung der Gesellschaft bin ich groß geworden, damit habe ich mich abgefunden. Ich wusste ich finde Männer toll, war nur in Jungs in meiner Schulzeit und sogar schon im Kindergarten verliebt, würde einen Mann heiraten, in einer monogamen Beziehung leben und ganz viele Kinder bekommen. Oder etwa nicht?
Diese ganzen Gedanken hatten noch einen Beigeschmack: Und zwar die Angst! Meine Meinung damals als Kind war, dass es „glaube ich okay ist homosexuell zu sein“: Aber was ist wenn ich das bin? Was ist, wenn mein Gedanke an ein Mädchen aus der Klasse gerade länger anhält und das Anzeichen sind, dass ich doch nicht auf Jungs stehe. Was ist, wenn ich mich doch in ein Mädchen verliebe, dann kann ich nie Kinder haben, meine Familie hätte damit Probleme und ich könnte nicht mit meiner Partnerin draußen Händchen halten.
Was passiert dann, wenn die Gesellschaft Homosexualität als unnormal zeigt und vorlebt? Richtig, ich bekomme Angst! Ich bekomme Angst, selbst homosexuell zu sein. Oft bin ich mit diesen Gedanken ins Bett gegangen und konnte nicht schlafen. Stundenlang lag ich wach und hatte Angst vor der Zukunft. Wie es ist, wenn gleichgeschlechtliche Paare sich auf der Straße küssen. Wie es ist, wenn sie auch noch Kinder haben dürfen.
Ja, ich war überschüttet von Homophobie, oder auch "Queerangst". Zum einen, selbst vielleicht homosexuell zu sein oder dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung offener ausleben dürften – sei es gesetzlich oder gesellschaftlich. Manchmal wenn der Gedanke gekommen ist, ob ich vielleicht doch ein Mädchen schön finde, habe ich mir diesen Gedanken weggewünscht und Gott um Verzeihung gebeten. Dadurch, dass mir gesagt wurde Homosexualität sei angeboren wollte ich das auf keinen Fall in meinem Körper haben.
Was ist passiert? Mit meinen 19 Jahren habe ich es endlich geschafft mich größtenteils von der Homophobie zu verabschieden. Ich ging ins Ausland, traf wunderbare Menschen, die sich zuerst meine Gedanken zu diesem Thema anhörten und mit mir dann darüber sprachen. Ich besuchte meine ersten Prides und hatte irgendwann nicht mehr den stechenden Schmerz in der Brust, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssten. Und ich habe nicht mehr G*tt um Verzeihung gebeten, wenn ich keine „Heterogedanken“ hatte. Und wisst ihr was? Es war ein Gefühl von Freiheit! Es war, als wenn sich der ganze Druck auf meiner Brust löste. Ja, wahrscheinlich habe ich das auf meiner ersten Pride gefeiert. Und tatsächlich: Ich war G*tt dankbar! Damals noch als junges Mädchen schämte ich mich vor G*tt und wollte, dass meine Gedanken weggehen. Und jetzt gehe ich mit G*tt über die Straßen, mit der Regenbogenflagge, mit meinen Freund*innen.
„Erstprägung ist Prägung, auch bei der Umorientierung ist sie nicht völlig auszumerzen“ Das stimmt leider. Denn meine Homophobie trage ich bis heute noch mit mir herum. Die dunklen Gedanken kommen ab und zu wieder. Ja, das ist meine Erstprägung, die mich noch lange nicht loslassen werden und ich kann sie vielleicht nie „völlig ausmerzen“.
Wenn das die Lösung sei, dass wir in einer Gesellschaft voller Homophobie großwerden, um ja die Heteronormativität zu schützen, dann möchte ich davon wirklich kein Teil mehr sein. Sie ist echt nicht hilfreich! Der Schutz hat nur dazu geführt, dass ich Angst bekam. Angst es selbst zu sein, und Angst vor Menschen die ihre Liebe ausleben!
Wer weiß, wenn ich gewusst hätte, dass es okay ist ein anderes Mädchen schön zu finden, wenn ich gewusst hätte, dass alle Menschen sich lieben dürfen, weil G*tt die Liebe ist und wo Liebe ist, ist G*tt - Dann wäre meine Erstprägung eine andere gewesen. Denn die Angst hätte niemals so viel Platz eingenommen.
Für mich ist es heute okay, dass ich nicht mit der Regenbogenflagge großgeworden bin. Aber eines weiß ich:
Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der wir so lieben und sein dürfen wie wir wollen.
Denn Angst ist niemals ein gutes Mittel!
Sondern das ist nur die Liebe!
Als Antwort auf den ersten Leserbrief "Zahl steht für den Menschen" fand eine unserer Teilnehmenden die passenden Worte. Sie schreibt über die Bedeutung des Regenbogens aus biblischer Sicht.
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